Nazi Deutschland - Kurort Bad Wildungen
Bäder-Antisemitismus in Bad Wildungen
von Johannes Grötecke, Bad Wildungen
Dass einheimische Juden in Bad Wildungen vor allem nach
1933 massiv verfolgt, schließlich vertrieben und
ermordet wurden, ist bekannt. Bislang kaum beachtet
wurde aber das Schicksal der Juden, die in Bad
Wildungen als Kurgäste weilten. Die Forschung hat sich
dem so genannten Bäder-Antisemitismus" erst in den
letzten Jahren gewidmet. Gab es auch in Bad Wildungen
eine verstärkte Verfolgung jüdischer Kurgäste? Im
"Deutschen Reich", der Zeitschrift des Centralvereins
deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, wurde
bereits 1914 die "Villa Carola" in der Hufelandstraße 9
als antisemitisch eingestuft.
Im "Gaststättenverzeichnis für Nationalsozialisten" aus
1931 wurde das "Haus Kirchner" als besonders linientreu
und antisemitisch aufgeführt. Das sind erste Hinweise
darauf, dass jüdische Kurgäste schon lange vor der
Naziherrschaft nicht überall in Bad Wildungen
willkommen waren. 1933 verschärften sich diese
Diskriminierungen. Im März wurden alle männlichen
Wildunger Juden über 16 Jahre zu einem Marsch durch die
Stadt gezwungen, bespuckt und zum Teil als "Mörder"
beschimpft. Dieser Marsch begann im Kurviertel, führte
entlang der Brunnenallee zur Altstadt, geschah also
direkt vor den Augen auch jüdischer Kurgäste. Im August
1933 störten Nazis eine Modenschau im Hotel
"Kaiserhof". Die Kreisleitung der NSDAP behauptete,
Veranstalter der Schau sei "der Jude Rosenfeld", der
sich "in geradezu herausfordernder Weise benommen"
habe. Die darauf folgenden polizeilichen Ermittlungen
stellten klar, dass generell "nur eine arische Firma"
als Veranstalter in Frage komme und dass Rosenfeld hier
nur als Vertreter aufgetreten und im Übrigen vor der
Modenschau abgereist sei. Im Juli 1935 berichtete die
NS-Propagandazeitung "Der Stürmer" über die "Schande
von Bad Wildungen".
Der Kurgast Worms, ein Jude aus Berlin, und dessen
weibliche Begleitung, die im Hotel "Fürstenhof"
wohnten, hätten sich "provozierend und herausfordernd"
benommen und sich auch mit einem ebenfalls hier
kurenden SA-Mann an den Tennisplätzen getroffen. Dies
sei angesichts der "Rassenfrage" ungeheuerlich, zumal
bei diesem Treffen nicht der "Hitlergruß" erfolgt sei.
"In Deutschland genießen die Angehörigen der jüdischen
Rasse Gastrecht, es sieht jedoch nachgerade so aus, als
ob diese Gäste sich wieder als die Herren des Landes
dünken. Ein Blick in die Kur- und Badeorte ist uns
Beweis dafür", so der "Stürmer" entrüstet. Eine
Anzeige, der Ausschluss des Mannes aus der SA und die
sofortige Abreise des Berliner Paares waren die Folge.
Schließlich führten zwei Aufenthalte des
Reichsaußenministers von Ribbentrop zu umfangreichen
Vorkehrungen, um eine Begegnung des prominenten Nazis
mit jüdischen Kurgästen zu verhindern.
Doch in Bad Wildungen waren solche Vorgänge eher
Ausnahmefälle. Dieser Meinung ist auch der Historiker
Dr. Frank Bajohr von der Forschungsstelle für
Zeitgeschichte in Hamburg. Etablierte, große Kurorte
mit internationalem Publikum blieben vom
Bäder-Antisemitismus weitgehend verschont, stellt er
fest.
Die Kur in jener Zeit war auch Ausdruck eines gewissen
Wohlstandes und blieb daher eher den Begüterten, also
Adel und Bürgertum, vorbehalten. Judenfeindschaft gab
es dagegen vor allem in Seebädern und Kurorten an Nord-
und Ostsee, zum Teil auch in Thüringen, Harz und
Schwarzwald, so Bajohr. Dort kurte eher das
Kleinbürgertum, das sich im Kaiserreich einen
bescheidenen Wohlstand erarbeitet hatte und nun
fürchtete, durch wirtschaftliche Krisen an Geltung zu
verlieren. Der vermeintlich vermögende jüdische Kurgast
aus der Großstadt galt den Kleinbürgern als Bedrohung
ihres gesellschaftlichen Ranges, auf ihn konzentrierten
sich daher die Ängste vor dem sozialen Abstieg.
Der Antisemitismus führte bei Teilen der jüdischen
Kurgäste dazu, sich zu isolieren und verstärkt jüdische
Traditionen zu pflegen. So gab es auch in Bad Wildungen
mit dem "Hotel Germania" von Gerson Krittenstein in der
Hufelandstraße 12 und dem "Palasthotel" von Berthold
Baruch in der Brunnenallee 29 zwei streng koscher und
rituell geführte Hotels speziell für jüdische Kurgäste.
Der Bäder-Antisemitismus trat international auf, auch
in Österreich-Ungarn, Russland und den USA. In
Deutschland aber war er Teil einer schrittweisen, sich
radikalisierenden Verfolgung, die in Vertreibung und
Massenmord endete. 1937 weilten nur noch 350 bis 400
jüdische Kurgäste in Bad Wildungen. Im Mai 1938
verkündete die Tageszeitung, fortan sei jüdischen
Gästen das Betreten von Schwimmbad, Golfplatz,
Kurtheater, Lese- und Musikzimmern, Kinos und Kurpark
verboten. Sie dürften nur noch in Unterkünfte, die von
Juden geführt werden. Dieser Schritt sei "von Gästen
und Einheimischen mit lebhafter Genugtuung begrüßt"
worden, denn er beende einen "unerträglich gewordenen
Zustand".
Sechs Monate später folgte die Reichspogromnacht, zehn
Monate darauf der Zweite Weltkrieg. Die Vertreibung
jüdischer Kurgäste fällt also zusammen mit dem Ende des
glanzvollen Aufstiegs der Stadt Bad Wildungen zu einem
der führenden deutschen Kurbäder.
Quellen und Literatur:
- Frank Bajohr, ‚'Unser Hotel ist judenfrei'. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20.
Jahrhundert, Frankfurt/M. 2003
- Adolf Gohlke, Geschichte der Ortsgruppe Bad Wildungen der NSDAP, 2 Bände,
(maschinenschriftlich), Bad Wildungen 1938
- Johannes Grötecke, Spurensuche. Ein Rundgang über den jüdischen Friedhof in Bad
Wildungen, Bad Wildungen 2003
- ders., Stadtrundgang. Juden und NS-Zeit in Bad Wildungen, Bad Wildungen 2005
- Theodor Schultheiß/Heinrich Hochgrebe, Die Wildunger Kur von 1580 bis zur
Gegenwart, Korbach/Bad Wildungen 1987
- Staatsarchiv Marburg, Bestand 165 RP Kassel 3982
- "Der Stürmer", Nürnberg Nr. 29/Juli 1935
- Waldeckische Landeszeitung, 19.5.1938, 2.4.1993
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von Johannes Grötecke, Bad Wildungen
Dass einheimische Juden in Bad Wildungen vor allem nach
1933 massiv verfolgt, schließlich vertrieben und
ermordet wurden, ist bekannt. Bislang kaum beachtet
wurde aber das Schicksal der Juden, die in Bad
Wildungen als Kurgäste weilten. Die Forschung hat sich
dem so genannten Bäder-Antisemitismus" erst in den
letzten Jahren gewidmet. Gab es auch in Bad Wildungen
eine verstärkte Verfolgung jüdischer Kurgäste? Im
"Deutschen Reich", der Zeitschrift des Centralvereins
deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, wurde
bereits 1914 die "Villa Carola" in der Hufelandstraße 9
als antisemitisch eingestuft.
Im "Gaststättenverzeichnis für Nationalsozialisten" aus
1931 wurde das "Haus Kirchner" als besonders linientreu
und antisemitisch aufgeführt. Das sind erste Hinweise
darauf, dass jüdische Kurgäste schon lange vor der
Naziherrschaft nicht überall in Bad Wildungen
willkommen waren. 1933 verschärften sich diese
Diskriminierungen. Im März wurden alle männlichen
Wildunger Juden über 16 Jahre zu einem Marsch durch die
Stadt gezwungen, bespuckt und zum Teil als "Mörder"
beschimpft. Dieser Marsch begann im Kurviertel, führte
entlang der Brunnenallee zur Altstadt, geschah also
direkt vor den Augen auch jüdischer Kurgäste. Im August
1933 störten Nazis eine Modenschau im Hotel
"Kaiserhof". Die Kreisleitung der NSDAP behauptete,
Veranstalter der Schau sei "der Jude Rosenfeld", der
sich "in geradezu herausfordernder Weise benommen"
habe. Die darauf folgenden polizeilichen Ermittlungen
stellten klar, dass generell "nur eine arische Firma"
als Veranstalter in Frage komme und dass Rosenfeld hier
nur als Vertreter aufgetreten und im Übrigen vor der
Modenschau abgereist sei. Im Juli 1935 berichtete die
NS-Propagandazeitung "Der Stürmer" über die "Schande
von Bad Wildungen".
Der Kurgast Worms, ein Jude aus Berlin, und dessen
weibliche Begleitung, die im Hotel "Fürstenhof"
wohnten, hätten sich "provozierend und herausfordernd"
benommen und sich auch mit einem ebenfalls hier
kurenden SA-Mann an den Tennisplätzen getroffen. Dies
sei angesichts der "Rassenfrage" ungeheuerlich, zumal
bei diesem Treffen nicht der "Hitlergruß" erfolgt sei.
"In Deutschland genießen die Angehörigen der jüdischen
Rasse Gastrecht, es sieht jedoch nachgerade so aus, als
ob diese Gäste sich wieder als die Herren des Landes
dünken. Ein Blick in die Kur- und Badeorte ist uns
Beweis dafür", so der "Stürmer" entrüstet. Eine
Anzeige, der Ausschluss des Mannes aus der SA und die
sofortige Abreise des Berliner Paares waren die Folge.
Schließlich führten zwei Aufenthalte des
Reichsaußenministers von Ribbentrop zu umfangreichen
Vorkehrungen, um eine Begegnung des prominenten Nazis
mit jüdischen Kurgästen zu verhindern.
Doch in Bad Wildungen waren solche Vorgänge eher
Ausnahmefälle. Dieser Meinung ist auch der Historiker
Dr. Frank Bajohr von der Forschungsstelle für
Zeitgeschichte in Hamburg. Etablierte, große Kurorte
mit internationalem Publikum blieben vom
Bäder-Antisemitismus weitgehend verschont, stellt er
fest.
Die Kur in jener Zeit war auch Ausdruck eines gewissen
Wohlstandes und blieb daher eher den Begüterten, also
Adel und Bürgertum, vorbehalten. Judenfeindschaft gab
es dagegen vor allem in Seebädern und Kurorten an Nord-
und Ostsee, zum Teil auch in Thüringen, Harz und
Schwarzwald, so Bajohr. Dort kurte eher das
Kleinbürgertum, das sich im Kaiserreich einen
bescheidenen Wohlstand erarbeitet hatte und nun
fürchtete, durch wirtschaftliche Krisen an Geltung zu
verlieren. Der vermeintlich vermögende jüdische Kurgast
aus der Großstadt galt den Kleinbürgern als Bedrohung
ihres gesellschaftlichen Ranges, auf ihn konzentrierten
sich daher die Ängste vor dem sozialen Abstieg.
Der Antisemitismus führte bei Teilen der jüdischen
Kurgäste dazu, sich zu isolieren und verstärkt jüdische
Traditionen zu pflegen. So gab es auch in Bad Wildungen
mit dem "Hotel Germania" von Gerson Krittenstein in der
Hufelandstraße 12 und dem "Palasthotel" von Berthold
Baruch in der Brunnenallee 29 zwei streng koscher und
rituell geführte Hotels speziell für jüdische Kurgäste.
Der Bäder-Antisemitismus trat international auf, auch
in Österreich-Ungarn, Russland und den USA. In
Deutschland aber war er Teil einer schrittweisen, sich
radikalisierenden Verfolgung, die in Vertreibung und
Massenmord endete. 1937 weilten nur noch 350 bis 400
jüdische Kurgäste in Bad Wildungen. Im Mai 1938
verkündete die Tageszeitung, fortan sei jüdischen
Gästen das Betreten von Schwimmbad, Golfplatz,
Kurtheater, Lese- und Musikzimmern, Kinos und Kurpark
verboten. Sie dürften nur noch in Unterkünfte, die von
Juden geführt werden. Dieser Schritt sei "von Gästen
und Einheimischen mit lebhafter Genugtuung begrüßt"
worden, denn er beende einen "unerträglich gewordenen
Zustand".
Sechs Monate später folgte die Reichspogromnacht, zehn
Monate darauf der Zweite Weltkrieg. Die Vertreibung
jüdischer Kurgäste fällt also zusammen mit dem Ende des
glanzvollen Aufstiegs der Stadt Bad Wildungen zu einem
der führenden deutschen Kurbäder.
Quellen und Literatur:
- Frank Bajohr, ‚'Unser Hotel ist judenfrei'. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20.
Jahrhundert, Frankfurt/M. 2003
- Adolf Gohlke, Geschichte der Ortsgruppe Bad Wildungen der NSDAP, 2 Bände,
(maschinenschriftlich), Bad Wildungen 1938
- Johannes Grötecke, Spurensuche. Ein Rundgang über den jüdischen Friedhof in Bad
Wildungen, Bad Wildungen 2003
- ders., Stadtrundgang. Juden und NS-Zeit in Bad Wildungen, Bad Wildungen 2005
- Theodor Schultheiß/Heinrich Hochgrebe, Die Wildunger Kur von 1580 bis zur
Gegenwart, Korbach/Bad Wildungen 1987
- Staatsarchiv Marburg, Bestand 165 RP Kassel 3982
- "Der Stürmer", Nürnberg Nr. 29/Juli 1935
- Waldeckische Landeszeitung, 19.5.1938, 2.4.1993
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